Umarmung bis zur Entspannung
Umarmungen – wir alle kennen sie als Geste der Zuneigung und Verbundenheit. Doch David Schnarch (Die Psychologie sexueller Leidenschaft), einer der renommiertesten Paar- und Sexualtherapeuten, geht einen Schritt weiter. In seinem Konzept der „Umarmung bis zur Entspannung“ beschreibt er, wie eine Umarmung nicht nur Nähe schaffen, sondern auch tiefgreifende emotionale Prozesse in Bewegung setzen kann.
Was bedeutet „Umarmung bis zur Entspannung“?
Diese Übung von David Schnarch ist mehr als eine einfache Umarmung. Es geht darum, sich auf eine Weise körperlich zu verbinden, die Vertrauen, Sicherheit und Loslassen fördert. Die Idee besteht darin, sich so lange in den Armen zu halten, bis sich beide Partner körperlich und emotional entspannen. Dies erfordert nicht nur Geduld, sondern auch die Bereitschaft, sich komplett auf den anderen einzulassen und gleichzeitig bei sich selbst zu bleiben.
Schnarch betont, dass dies eine der schwierigsten Übungen in der Paartherapie ist. Warum? Weil es dabei um mehr geht als nur körperliche Nähe – es erfordert emotionale Präsenz, Geduld und die Fähigkeit, mit den eigenen Gefühlen und Unsicherheiten umzugehen. Oft steigen während der Umarmung innere Spannungen auf, alte Muster oder Ängste, die es gilt, bewusst zu fühlen und anzunehmen, ohne sich davon überwältigen zu lassen.
Schnarch sagt, dass viele Paare aus der Umarmung aussteigen, sobald sie Anspannung oder Unbehagen spüren. Doch genau hier liegt der Schlüssel: Durch die Umarmung hindurchzubleiben, bis die Entspannung eintritt, ist der Kern der Übung. Nur so kann man lernen, mit sich selbst und dem Partner in einem Zustand der tiefen emotionalen und körperlichen Präsenz zu verweilen.
Wie funktioniert die Umarmung bis zur Entspannung?
Die Praxis der „Umarmung bis zur Entspannung“ ist einfach, aber gleichzeitig intensiv. Hier sind die Schritte, wie du diese Übung mit deinem Partner oder deiner Partnerin durchführen kannst:
Stelle sicher, dass ihr ungestört seid: Findet einen ruhigen Ort, an dem ihr beide für mindestens 10-15 Minuten (oder länger) Zeit habt, ohne abgelenkt zu werden.
Umarmt euch aufrecht: Steht einander gegenüber, stellt eine aufrechte Körperhaltung sicher und legt eure Arme um den Partner, ohne Druck auszuüben.
Atmet ruhig und gleichmäßig: Konzentriert euch auf euren Atem und versucht, langsam und tief zu atmen. Lasst euch von der Atmung des anderen beeinflussen, aber haltet euren eigenen Rhythmus.
Bleibt präsent: Versucht, in diesem Moment präsent zu bleiben. Es kann sein, dass Gedanken aufkommen oder ihr Unruhe spürt – das ist normal. Versucht, bei der Umarmung zu bleiben und die Gefühle, die in euch aufsteigen, bewusst wahrzunehmen, ohne sie zu bewerten.
Fangt klein an: Wenn die Übung neu für euch ist, könnt ihr mit kurzen Umarmungen von 30 Sekunden bis zu einer Minute beginnen. Am Anfang mag es ungewohnt oder sogar unangenehm erscheinen, in dieser langen Umarmung zu bleiben. Doch mit der Zeit werdet ihr feststellen, dass es immer einfacher wird, in der Umarmung zu verweilen und sich darauf einzulassen. Mit jedem Mal könnt ihr die Zeit schrittweise verlängern.
Geduld ist der Schlüssel: Eine „Umarmung bis zur Entspannung“ erfordert Geduld. Es geht nicht darum, wie lange es dauert, sondern darum, den Prozess zuzulassen. Vielleicht fühlt sich eine Umarmung schon nach 10 Minuten wohltuend an, oder ihr braucht mehr Zeit – jede Erfahrung ist individuell.
Die Wirkung der Übung
Diese Praxis kann nicht nur die körperliche Entspannung fördern, sondern auch emotionale Blockaden lösen. Paare, die regelmäßig diese Umarmung praktizieren, berichten oft von einer tieferen emotionalen Verbindung, mehr Verständnis füreinander und einer besseren Kommunikation. Es schafft einen Raum, in dem ihr euch gegenseitig ohne Druck und Erwartungen begegnen könnt.
Die „Umarmung bis zur Entspannung“ bietet eine wunderbare Möglichkeit, Achtsamkeit und Langsamkeit in die Beziehung zu integrieren – ein Aspekt, den wir im hektischen Alltag oft vergessen. Es ist eine Einladung, sich nicht nur dem anderen zu öffnen, sondern auch bei sich selbst anzukommen.
Dranbleiben zahlt sich aus
Es ist wichtig, diese Übung regelmäßig zu praktizieren, auch wenn sie sich anfangs vielleicht ungewohnt oder sogar unangenehm anfühlen mag. Der Schlüssel liegt in der Kontinuität: Je häufiger ihr euch bewusst Zeit nehmt, um euch auf diese Weise zu umarmen, desto einfacher und angenehmer wird es mit der Zeit. Ihr werdet spüren, wie die körperliche und emotionale Entspannung immer schneller einsetzt und ihr euch auf eine tiefere Weise verbindet.
Ein Angebot für den Alltag – Umarmungen auch außerhalb der Partnerschaft
Interessanterweise ist diese Praxis nicht nur auf romantische Partnerschaften beschränkt. Eine längere Umarmung kann auch in familiären oder freundschaftlichen Beziehungen tiefe Nähe und Verbundenheit schaffen. Statt einer schnellen, flüchtigen Umarmung kannst du im Alltag üben, Freunde oder Familienmitglieder bewusst ein paar Sekunden länger zu umarmen. Diese zusätzliche Zeit kann zu mehr emotionaler Nähe führen und sogar Spannungen abbauen, ohne dass viele Worte nötig sind.
Fazit
David Schnarchs Konzept der „Umarmung bis zur Entspannung“ ist eine tiefgehende Übung, die Paaren (und sogar Familienmitgliedern oder Freunden) hilft, körperliche und emotionale Nähe auf eine neue Weise zu erfahren. Diese Übung erfordert Geduld und Bereitschaft, sich auf die eigenen und die Emotionen des anderen einzulassen, was sie zu einer der anspruchsvollsten, aber auch wirkungsvollsten Übungen macht.
Wenn ihr Unterstützung dabei benötigt, diese Übung in euer Beziehungsleben zu integrieren oder in anderen Bereichen anzuwenden, stehe ich euch gerne zur Seite.